Die Gründerzeit
Dem Gründungsprotokoll ist zu entnehmen, dass sich an jenem denkwürdigen 4. September 1881 zwölf junge Burschen zusammenfanden. Geturnt wurde auf dem Rindel, am Reck mit hölzerner Stange und auf dem damaligen Schulturnplatz in Toussen. Da eine geheizte Turnhalle noch ein Wunschtraum war, wurden die Turnübungen über den Winter eingestellt und im Frühjahr nicht wieder aufgenommen. Erst am 15. September 1882 traten wiederum zwölf Jünglinge zu einer erneuten Vereinsgründung zusammen. Die Statuten wurden revidiert und für die Geräteübungen der Turnplatz Toussen bestimmt. Für die Freiübungen wurde den Turnern der Tanzsaal im «Hirschen» in Unterlunnern überlassen. Dass diesem jungen Verein der Lebensnerv nicht mehr ausging, beweist das diesjährige Jubiläum. Versuchen wir uns zurückzuversetzen in diese alte Zeit. Damals mussten sich, kraft des neuen Gemeindegesetzes, die fünf Zivilgemeinden zusammenschliessen und bilden seither die heutige politische Gemeinde Obfelden, wie sie im Gemeindewappen durch die fünf Ähren symbolisiert wird. Industrielle Arbeit war noch kaum vorhanden, beziehungsweise nur in Ansätzen. Die Stehli Seidendynastie (ab 1840) konnte erst einige Jahre zuvor durch den Einbau der ersten Dampfmaschine von der Heimarbeit zum Fabrikbetrieb übergehen.Trotz 11-Stunden-Arbeitstage war Geld Mangelware und viele wanderten nach Amerika aus. In Zürich fuhr erstmals das Rösslitram, während die geplante Schmalspurbahn von Ottenbach nach Hausen zu Grabe getragen wurde. Die Reuss floss noch nicht im heutigen Flussbett und die Unterlunnerner Bauern mussten daher die Uferwuhren unterhalten. Gas für Licht und Kochzwecke gab es erst nach der Jahrhundertwende durch den Bau eines Gaswerkes in Unterlunnern, welches um 1902 die Elektrizität noch verdrängte, da Gas besseres Licht hergab.
Aufnahme des Turnvereins in die Verbände
In dieser Frühzeit der Industrialisierung sehen wir den jungen Verein heranwachsen. Bereits an der Kirchweih 1882 wartete er mit einer gratis Propagandavorstellung auf und im Februar darauf trat der Verein erstmals mit einer Abendunterhaltung vor die Öffentlichkeit. Im Winter wurde in Scheunen geturnt. Die erste Turnfahrt führte auf die Rigi und noch im selben Jahr 1883 trat man dem Turnverband am Albis bei. Dass zu jener Zeit strenge Sitten herrschten und die Satzungen straff gehandhabt wurden, zeigt der Ausschluss von drei Mitgliedern 1884 wegen unanständigen Betragens. Bereits 1885 war die kleine Turnerschar soweit, dass sie die erste Vereinsfahne einweihen konnten: Kostenbetrag 300.– Franken, mit Zubehör. Ein Jahr später, am 4. September 1886 anlässlich der Kantonalturnfahrt auf den Bachtel, sehen wir den TVO aufgenommen als Mitglied des Kantonalturnvereins Zürich. In diesem Jahr bestritten die Turner das erste Kantonalturnfest in Zürich-Aussersihl und im Juni 1888 den ersten Eidgenössischen Turnfestwettkampf in Luzern, der den Eidgenössischen Kranz in das Knonauer Amt brachte. Dank Spenden konnte 1899 ein neues Vereinsbanner gekauft werden.
Erste Turnhalle im Bezirk Affoltern
Blenden wir kurz in die Landesgeschichte ein: Wir erlebten das letzte revolutionäre Ereignis vor dem Landesgeneralstreik, den Tessin-Putsch 1890. Die Radikalen stürmten die Tessiner Staatsgebäude und erschossen ein Ratsmitglied, der konservative Staatsrat wurde gefangen genommen. Zwei bernische Bataillone stellten die Ordnung wieder her. In dieser unruhigen Zeit bemühten sich die Turner um eine Turnhalle. Ein heisses Eisen, da solche Bauten noch als purer Luxus betrachtet wurden. War das Zünglein an der Waage die Spende von 3000.– Franken aus dem Gönnerhaus Stehli, die 1000.– Franken der Turner (500.– Franken waren geborgt!), der Frondienst für die Aushubarbeiten durch die Turnerschar, der gute Ruf und das Ansehen der Initianten oder der Miteinbau des ersten Kindergartens? Gewiss ist: Die Obfelder waren sehr aufgeschlossen, so dass die erste Turnhalle im Bezirk Affoltern in Obfelden zu stehen kam. Im selben unruhigen Jahr 1890 wurde das erste Verbandturnfest in unserer Gemeinde organisiert. Im August 1900 turnten die Obfelder am Eidgenössischen Turnfest in La-Chaux-de-Fonds, 1903 am Eidgenössischen Turnfest in Zürich und 1906 in Bern. In diesen letzten Jahren des ersten Vierteljahrhunderts kam der Turnfahrtenwettkampf gross in Mode. Es fanden bis zu sechs Ausmärsche im Jahr statt, z.B. Obfelden – Sempach und zurück 66 km, Rapperswil 70 km, Fronalpstock 84 km usw. Im Dreijahreswettbewerb kamen sie auf total 1043 km in 214 Marschstunden und einer Beteiligung von bis zu 26 Mann. Eine solche Gewaltleistung neben langer und schwerer Arbeit ist heute kaum mehr vorstellbar.
Laudatio an den Ehrenpräsidenten und Mitbegründer des TVO Adolf Frei
Das Etat auf das Jahresende von 1906: 120 Passive, 15 Aktive und 14 Ehrenmitglieder. Wir wollen diese ersten 25 Jahre Vereinsgeschichte nicht abschliessen, ohne eines Mannes zu gedenken, der diese Epoche wesentlich geprägt hat. Sein Turnkamerad, Oberturner und Lehrer bis 1900 in Obfelden und späterer Chefredaktor der Eidg. Turnerzeitung Eugen Zehnder schreibt im Nachruf über seinen Freund Adolf Frei, Ehrenpräsident des TVO: «Er starb im hohen Alter von 84 Jahren in St. Immer, wohin ihn, nach einem reichen Lebenswerk in seiner Heimatgemeinde Obfelden, seine zweite Ehe geführt. An der angeborenen Urwüchsigkeit hat er deswegen kein Jota verloren. Er blieb mit jeder Faser echter Ämtler und Zürcher und hielt treu zu allem und jedem, was ihm auf seiner Bahn lieb und wert geworden war. Anders wäre es auch nie denkbar gewesen, da er zeitlebens ein Mann von Herz und Seele geradezu verkörperte. Turner ist Adolf Frei auf Grund seiner schweizerischen und allen Idealen offenen Gesinnung geworden. Als 1881 der TV gegründet wurde, bedurfte dieser seines impulsiven Geistes, um im folgenden Jahre zu wirklich tätigem Leben zu erwachen und hernach im stetigen Aufstieg, der hauptsächlich seiner straffen Führung als Präsident und Oberturner zuzuschreiben ist. Wie im eigenen Verein, der seine dreissigjährige Arbeit mit dem Ehrenpräsidium auszeichnete, hat die Persönlichkeit unseres Adolf Frei auch dem turnerischen Leben im Bezirk Affoltern in der Eigenschaft als Oberturner, Präsident und Festorganisator den Stempel aufgedrückt, was letzen Endes auch über dessen Grenzen hinaus nicht unbeachtet bleiben konnte. Seine Uneigennützigkeit im Dienste der Turnsache bewirkte, dass er als erster Vertreter der Landschaft in den Vorstand des Kantonalturnvereins Zürich gewählt wurde (1901). Er gehörte diesem während zweier Amtsdauern an und wie diese Vertrauensstellung an sich, so bildete die Verleihung der kantonalen Ehrenmitgliedschaft die wohlverdiente Krönung seiner wertvollen turnerischen Pionierarbeit. Was Adolf Frei an Treue und Hingabe als Turner leistete, bestätigte sich wiederum durch seine Einstellung zum Beruf und zu den bürgerlichen Pflichten. Mit ganzem Verlass diente er seinem Arbeitgeber, der Firma Rob. Stehli & Cie., mit restloser Selbstverständlichkeit der Gemeinde (Gemeindeammanamt und Schule). Eine massgebliche Rolle spielte er zudem im Schützenwesen. Als Soldat trug er mit Stolz und Grade eines Adjutant- Unteroffiziers die Bataillonsfahne. Er vereinigte so in seiner Person alle Eigenschaften des wahrhaften Turners, der gibt und hilft und schafft, soweit die Gaben seines Körpers und des Geistes reichen, vorbildlich nach Pflichtauffassung und nach deren Auswirkungen. Wie die Heimat einen guten Sohn, so verlieren seine Freunde einen treu ergebenen Freund, dem ein Handschlag mehr als nur Äusserlichkeit bedeutete. Turnerfreundschaft, Kameradschaft überhaupt, hielt er über alles hoch. Die goldlautere Seele, mit der er an den Idealen dieser Erde hing, verriet sich nicht weniger schön im Verhältnis zu seinen Weg- und Kampfgefährten. Sie alle, soweit sie ihm nicht schon im Tode vorgegangen sind, wissen, dass es einen wackeren Kameraden zu beklagen gilt. Der Name Adolf Frei wird in der Turnergeschichte seiner engeren Heimat einen ehrenvollen Platz behaupten, immerdar.